Die erste [Entscheidung für 2025] ist, mehr zu kreieren und weniger zu konsumieren. Mit „kreieren“ meine ich Kunst, Freundschaften und Erfahrungen, und mit „konsumieren“ meine ich, materielle Dinge zu erwerben und zu besitzen und Medien zu lesen und zu sehen. Die zweite besteht darin, die Elemente zu beseitigen oder zu reduzieren, die zwischen mir und meiner Menschlichkeit stehen.
Stephen Casimiro, Herausgeber des ‚Adventure Journal‘
Vor zwei Wochen bin ich beim Lesen über eine sehr interessante Zeile gestolpert: „[Ich entscheide mich,] die Elemente zu beseitigen oder zu reduzieren, die zwischen mir und meiner Menschlichkeit stehen.“ Was damit gemeint ist? Der Autor hatte jahrelang seine Wanderungen und Bergtouren mit einer App aufgezeichnet und so seine Fortschritte, seine allgemeine Fitness und vermutlich auch Durchhaltevermögen und dergleichen genau im Blick. Diese App hat er gelöscht, sogar ohne die Daten herunterzuladen – damit weniger zwischen ihm und seinem Menschsein in der Welt steht.
Ich konnte die Verbindung zwischen ‚meine Menschlichkeit‘ und ‚weg mit der App‘ sofort nachvollziehen. Deswegen finde ich es so komisch, dachte ich, wenn Menschen in meinem näheren Umfeld ständig auf ihre Smart Watch schauen, wie sie geschlafen haben, wie ihr Puls beim Sport war oder wie viele Kilometer sie gelaufen sind. Sie nehmen die Welt nicht selbst und direkt wahr und kommen so zu Einschätzungen darüber, wie sich alles verhält mit ihnen, sondern sie tun dies vermittelt durch ein digitales Gerät. Naja, und von da aus war es nur ein ganz kleiner Schritt zu der Erkenntnis, dass ich das auch tue. Nicht mit einer Smart Watch und nicht in Bezug auf meine biometrischen Daten. Aber meine Wahrnehmung ist auch häufig digital vermittelt, nämlich durch mein Smartphone beziehungsweise durch die Kamera des Smartphones. Seit ich mir vor kurzem das Teleobjektiv von meinem Dad ausgeliehen habe, vermittelt nun auch eine digitale Spiegelreflexkamera meine Natureindrücke für mich.
Warum fotografiere ich das, was ich sehe?
Diese Frage beschäftigt mich seitdem ein wenig. Der Grund dafür ist, dass mich seit langem eine Sache bedrückt, die mit dem Fotografieren zu tun hat: Ich habe einfach viel zu viele Fotos, die ich gemacht habe, damit ich sie zur Unterstützung beim Skizzieren verwenden kann. Aber so viele Seiten, wie ich Fotos habe, kann ich in meinem Skizzenbuch nie und nimmer anlegen.
Wenn ich hauptsächlich zur Unterstützung beim Skizzieren vor Ort fotografiere, dann brauche ich aber eigentlich nicht viele Fotos. Im Idealfall beginne ich direkt vor dem Motiv, das mich begeistert, habe dann aber vielleicht nicht so viel Zeit, wie ich möchte und muss es zu Hause beenden. Dafür mache ich dann ein paar Fotos. So war es bei diesem Projekt.

Für diese Skizze habe ich still neben dem Bach gesessen, gelauscht und geschaut – es war einfach herrlich! Fertig geworden ist sie aber erst zu Hause mit Unterstützung von Fotos und einem kleinen Videoclip. Dabei hatte ich mir vor Ort alles so genau angeschaut und eingeprägt, dass ich möglicherweise auch ohne Fotos ausgekommen wäre.
Warum dann aber die vielen zusätzlichen Fotos? Was halte ich in ihnen fest? Und könnte ich das, was ich mit dem Fotografieren bezwecke, auch anderweitig erreichen und so einen unverstelltes Naturerlebnis genießen?
An dem Tag am Bach, an dem ich das obige Aquarell begonnen habe, war ich komplett fasziniert von den Felsbrocken, durch die sich das klare Wasser hindurchzwang und den kleineren Steinen, über die das Wasser hinweg plätscherte. Bäche und Wasser allgemein halten eine große Faszination für mich. Klar, dass ich da Fotos mache! Zumal ich solche Bäche bei mir in der norddeutschen Tiefebene nicht finden kann. Hier gibt es wenig anstehendes Gestein, über das ein Bächlein plätschern kann. Fotos also…
…und keine Skizzen von dem, was mich so begeistert. Erstens war ich mit meiner Familie unterwegs; dass ich allein dasitzen und ein wenig malen konnte, war das maximalste, was möglich war. Mein kleiner Sohn hat währenddessen mit meinem Mann eine extra Schleife im Wald gedreht. Danach ging das Familienabenteuer im Wald weiter und ich war um eine kleine Skizze und einen tiefen Eindruck des gurgelnden Baches reicher. Zweitens leben wir ja im Zeitalter der Fotografie und müssen uns nicht auf Skizzen verlassen, um Landschaftseindrücke festzuhalten.
Aber wie wäre es mit Worten? Statt der Fotos, die ganz nüchtern Felsen und Wasser zeigen, hätte ich Satzfragmente, Gefühle, leichte Eindrücke notieren können, vielleicht sogar noch zusammen mit einigen Linien, ein paar wenigen Bleistiftstrichen.
Mit anderen Worten:
Welche Möglichkeiten zum Festhalten meiner Naturerlebnisse nehme ich nicht wahr, wenn ich fotografiere?
Gestern hatte ich einen Termin am anderen Ende der Stadt. Ich wollte sehr gern zu Fuß gehen, denn die Sonne schien frostig blau am Winterhimmel. Die Überlegungen, die ich hier teile, standen mir klar vor meinem inneren Auge. Wie kann ich jetzt die Stadtnatur in Lüneburg ohne digitale Vermittlung wahrnehmen, fragte ich mich. Die Antwort, die dann kam, lautete: mit den Ohren. Ja, das war die einfache und doch radikale Lösung. Warum den Landschaftseindruck immer an den Bildern festmachen? Ich wollte lieber mal lauschen. Das Fernglas habe ich dann trotzdem noch umgehangen, damit ich mir Dinge genauer anschauen kann. Fotos wollte ich möglichst keine machen.
Viele Wege führen quer durch Lüneburg, aber einer, der mir besonders gefällt, verläuft etwas tiefergelegen am Wasser. Ein Kanal, der Hochwasser in der Ilmenau von der Stadt wegleitet, hat seit einigen Jahren einen wunderschönen Rad- und Fußweg Nebendran, und den habe ich gestern genommen. Während vier Meter weiter oben der Straßenverkehr dröhnte, bin ich unten am Wasser gelaufen, habe nach Teichhühnern, die hier seit dem Sommer wohnen, nach „meinem“ Graureiher, nach Enten und nach Vögeln Ausschau gehalten. Und gelauscht habe ich auch.
Ich hatte gerade eine Brücke überquert und war wieder auf dem Weg hinab zum Wasser, als ich einen monotonen Vogelgesang hörte. Er kam von schräg rechts hinter mir und war mir unbekannt, wie fast alle Vogelstimmen (leider immer noch). Ich beschloss sofort, den Vogel, den ich hörte, mit meinen Augen zu finden. Und es klappte auch! So habe ich zum ersten Mal einen Baumläufer gesehen. Er ging ruckartig und etwas mäandrierend den Stamm eines Ahorns hinauf. Ein kleines, braunes Vögelchen in Spatzenform und mit hellem Bauch – wunderschön! Nie und nimmer hätte meine Handykamera auf ihn scharf gestellt. Aber das war auch nicht nötig. Ich habe ihn in aller Ruhe durchs Fernglas beobachtet, bis er weggeflogen ist. Und das war auch gut. Ein perfektes Erlebnis ohne Handyfoto.
Fotos für das Gemeinschaftsgefühl
Später habe ich dann doch noch Fotos von ruhenden Kormoranen in Bäumen über der Ilmenau gemacht. Denn in meiner Mitgliedschaft Wild Life Aquarell haben sich liebenswerte und sehr naturverbundene Menschen eingefunden, und wir teilen unsere Natureindrücke miteinander. Wenn eine von uns vom Frost überzuckerte Beeren gesehen oder eine besondere Wetterstimmung beim Spaziergang mit dem Hund erlebt hat, dann dürfen wir anderen den Moment im Nachhinein miterleben. Und genau dafür sind Fotos eine sehr schöne Sache!

Insofern ist der Titel des Beitrags etwas überzogen. In der Natur sein steht nicht im Gegensatz zum Fotografieren. Beides ist zugleich möglich, natürlich – zum Glück ist das so! Dennoch möchte ich für mich und mein Naturskizzenbuch versuchen, etwas direkter und mit anderen Sinnen ins Naturerlebnis zu gehen. Ich möchte nicht immer gleich ein Foto knipsen und ich möchte vor allen Dingen nicht soooo viele Fotos für Skizzenseiten, die es nie geben wird, ansammeln.* Vielleicht finde ich einen Weg, meine Naturgefühle leicht und klar auf die Seite zu bringen. Und wenn das nicht geht – dann ist es vielleicht auch ok und ich brauche kein Foto zur Erinnerung.
*Wobei ein Teil meiner Fotos potentiell als Referenzmaterial für Naturstudien in meinen Tutorials dient, und das ist auch gut so. Aber ich setze mich massiv unter Druck, mehr Skizzenbuchseiten zu produzieren, und das liegt eben an der ungeheuren Menge von Eindrücken, die ich in Fotos festhalte.
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Liebe Antje,
wie recht du hast. Ich kann dich so gut verstehen. Statt das Tier zu beobachten, krame ich nach dem Handy und suche die beste Kameraeinstellung und wenn ich dann so weit bin, ist das Tier längst weg. Das versuche ich jetzt zu vermeiden und mehr zu beobachten und zu skizzieren. Wenn es vor Ort nicht fertig wird, suche ich im www. nach dem Tier, um meinen Eindruck aufzufrischen und die Skizze zu beenden.
Trotzdem mache ich immer noch zu viele Fotos, die ich dann nicht mehr anschaue. Das Problem habe ich jetzt so gelöst, dass ich besondere Highlights im kleinen Format ausdrucke und mit in mein Tagebuch klebe. So freue ich mich beim Durchblättern das ganze Jahr über an diesen besonderen Momenten.
Vielen Dank, dass Du Deine Gedanken immer so großzügig mit uns teilst. Ich höre so gerne Deine Stimme im Podcast und lese hier gerne mit.
Viele Grüße, Birgit
Liebe Birgit, ich danke Dir für Deinen lieben Kommentar. Du kennst die Herausforderung des Nicht-Fotografierens also auch! Ich werde mir ein richtig gutes Fernglas besorgen und dann sehe ich mal, wie ich ohne Kamera zurecht komme. Ich werde berichten – hoffentlich auch bald wieder auf dem Podcast! Ich freue mich, dass Du ihn gern hörst 🙂 Ganz liebe Grüße, Antje.